Bislang galt Dicksein als Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung und zügelloser Unkontrolliertheit. “Übergewicht ist aber nicht gleich Krankheit. Es ist sogar etwas Gutes”, meint Prof. Dr. Achim Peters von der Universität Lübeck.
Der Gehirnforscher kämpft laut Süddeutscher Zeitung seit Jahren gegen die stigmatisierte Sicht auf zu viel Körperfett. Sicherlich: Eine diagnostizierte Adipositas weit über der 30-Marke des als Standard für solche Fragen geltenden Body-Mass-Index (BMI) ist gewiss nicht unbedenklich. Wer sich allerdings wohlfühlt, keine selbst oder ärztlich festgestellten Beschwerden hat, lebt mit dem Vorteil, dass sein Dicksein “eine gesunde Art der Stressbewältigung” ist. (Achim Peters)
Stressresistenz
Wie funktioniert das mit der Stressresistenz? Im Grunde muss man das so sehen: Es gibt unterschiedliche Typen von Nahrungsverwertern. Diejenigen, die essen können, was sie möchten und nie dick werden und die anderen die gerne nicht so viel auf den Rippen hätten, denen jedoch schon der Anblick eines wundervollen Bratens 100 Gramm mehr auf die Rippen presst. Das Gehirn beider Typen von Nahrungsverwertern jedoch es funktioniert nach dem selben Prinzip – es benötigt Glucose um zu funktionieren. Und da es den Körper steuert, kann es sich so viel Energie holen, wie es gerne haben möchte. Wissenschaftler sprechen vom “Selfish-Brain” (egoistisches Gehirn). Dieser Egoismus zeigt sich auch in der Hinsicht, dass das Gehirn den Körper in einen Art Stresszustand versetzt, um an seine benötigte Dosis Energie zu gelangen. Mit Hilfe von Hormonen, darunter Cortisol, versucht das Gehirn, Brennstoff aus den Energiespeichern im Körper für sich freizusetzen. Selbst wenn sich der Körper im Ruhe-Modus befindet saugt sich das Gehirn rund die Hälfte der zu Verfügung stehenden Glucose ab. Bis zu 90 Prozent werden in Stress-Situationen verbraucht.
Bei dicken, sagen wir kräftigen Menschen, funktioniert dieser Mechanismus der Energiegewinnung zwar auch, jedoch kann aus Fettdepots keine Glucose gewonnen werden. Es befiehlt daher, neue Nahrung aufzunehmen. Also greift man zu Messer und Gabel oder zu einem Snack, damit das Gehirn wieder beruhigt ist und ordentlich weiterarbeiten kann. Der Rest der Energie aus der Nahrung wird wiederum in den Depots abgelagert. Wer von Natur aus kräftig ist, kann sich demnach auch schlecht dagegen wehren, so zu sein.
Umlenkung von Stoffwechselströmen
Ungeklärt ist laut Prof. Dr. Achim Peters weiterhin, wie die Umlenkung von Stoffwechselströmen gelernt und antrainiert werden kann. Ebenso wie “tröstendes Futter” (engl. “comfort food”) sich auf Stressreaktionen auswirkt und wie der Gehirnbedarf an Zucker in Stresssituationen gesteigert ist. Als Leiter der seit 2004 bestehenden und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten klinischen Forschergruppe “Selfish Brain: Gehirnglukose und metabolisches Syndrom” untersucht er zusammen mit Expertenkollegen ausserdem, wie Gehirnzellen bei Bedarf („just-in-time“) Zucker anfordern.
Überlebenskraft von kräftigen Menschen
Dass man Nahrung zu sich führt, wenn das Gehirn es empfiehlt und sich damit zum einen spontan Energie holt aber auch Depots anlegt, werten Forscher und Ärzte als natürliche Überlebenskraft. Nierenfachärzte der University of California etwa entdeckten, dass schlanke Dialyse-Patienten schneller starben als übergewichtige. Es zeigte sich zudem, so schreibt die Süddeutsche Zeitung, dass “auch Dicke mit Herzinfarkt länger leben, ebenso wie nach schweren Operationen, nach Sepsis, Schlaganfall oder Hirnblutung und Dicke mit Rheuma oder Krebs.”
Aber halt! Voraussetzung war, dass die Übergewichtigen nicht dazu neigten, “all ihr Körperfett rund um die Taille” anzusammeln. Die sogenannte Apfelfigur ist tatsächlich lebensbedrohlich. Landläufig ist diese figürliche Ausprägung des Bauches auch als “Apfelbauch”, “bayerische Bierwampe” oder gar als “Brauereigeschwür” bekannt. Den kritischen Punkt erreicht der Organismus, sobald der Taillenumfang über ein gewisses Maß hinaus schießt. Bei Männern sind das 102 Zentimeter und bei Frauen 88. Ziemlich ungesund auf Dauer ist ein Bodymass-Index von mehr als 35. Mit einem BMI von 27 lebt man statistisch gesehen am längsten. Übrigens: Der Body Mass Index berechnet sich nach folgender Formel
BMI = x KG / (y M * y M)
In Worten: Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Metern zum Quadrat.
Übergewicht? Sinn und Unsinn von Diäten
Stellen wir fest: Das Gehirn benötigt Glucose um zu funktionieren. Aus den Fettdepots kann es keine Energie für sich generieren, verlangt nach mehr. Damit wird auch jede Art extremer Diät ad absurdum geführt. Denn wer hungert verstärkt den innerlichen Stressfaktor nur und wird sich – so wie es oft ist – vom Gehirn davon überzeugen lassen, die Diät abzubrechen, damit die Schaltzentrale wieder genügend Energie zugeführt bekommt.
Übergewicht? Wie wärs mit Sport?
Wer häufigem Stress ausgesetzt ist, für den empfiehlt sich Ausdauersport. Nach zehn Minuten etwa stellt der Körper automatisch von Zuckerabbau auf Fettabbau um und zehrt damit die überschüssig angelegte Energie auf. Regelmäßig Laufen, Schwimmen oder Radfahren ist und hält auf Dauer gesund. Aber nicht gleich die harte Tour. Nur wer seine sportliche Aktivität auf Dauer steigert hält sich wirklich fit und gesund.