Bewegung zählt zu den natürlichsten Dingen der Welt. Egal von welchem aufrecht gehenden, fliegenden oder schwimmenden Lebewesen wir sprechen, die Natur hat dafür gesorgt, dass es mobil ist – natürlich immer auf seine speziell angepasste Art und Weise. Und das ist seit Jahrmillionen so. Das beste Beispiel für das wichtigste Geschenk der Evolution sind Kinder in ihrer Ursprünglichkeit. Sie sind in ihrem Elan kaum zu bändigen, laufen, springen, hüpfen und tollen herum. Dass Bewegung wichtig für ihre Entwicklung ist, wissen sie in diesem Alter gerade mal aus dem Unterricht. Kinder aktivieren ihre Körperfunktionen und den Geist rein intuitiv und schaffen eine wichtige Basis fürs Leben.
Das ist die Theorie. In der Praxis schaut es mittlerweile ganz anders aus. Im sozioökonomischen Wandel passt sich auch der Mensch den neuen Gegebenheiten an. Bewegung spielt mittlerweile eine untergeordnete Rolle. In unserer Welt gibt es (Büro-)stühle, die man lieb gewonnen hat. Es gibt Technik, die, während man auf der Couch sitzt, per Knopfdruck Dinge erledigt, die man früher zu Fuß hat machen musste. Und gibt es Dienstleister, die – online geordert – alles frei Haus liefern. Während schon Kinder im Umgang durch Technik nur vermeintlich freier und mobil werden, entwickeln sie sich eigentlich in ihrer Grundstruktur zurück. Sitzen und Abwarten wird zum neuen Anti-Volkssport. Doch ist das gesund?
Schlechte Nachrichten: Wer viel sitzt ist eher tot
Im menschlichen Körper gibt es über 200 Muskeln. Auch das Herz gehört dazu. Muskeln können erschlaffen, wenn sie nicht gefordert werden. Deshalb die schlichte Feststellung: Ohne Bewegung kann der Mensch nicht (über-)leben.
Denn „alles, was nicht regelmäßig genutzt wird, verkümmert“, unterstreicht Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Predel vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin gegenüber rp-online.de. „Blutzucker und Blutfette verändern sich, das Skelett und die Muskeln schrumpfen, das Herz und die Gefäße verlieren an Anpassungsfähigkeit.“
Sitzen und körperliche Untätigkeit lösen infolgedessen schwerwiegende Krankheiten aus. Neben Rückenproblemen kann es auch zu lebensverkürzenden Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommen. Ist das nicht so, dass man sich am Abend viel wohler und eindeutig besser fühlt, wenn man den ganzen Tag aktiv auf den Beinen war?
Warum das alles? Die Dipl-Sportlehrerin Dr. Petra Mommert-Jauch erklärt das im aktuellen Kneipp-Journal (Jan/Feb 2016): Wer seine Muskeln dauerhaft nicht nutzt, raube ihnen die „Sensitivität für Insulin“. Stoffwechselvorgänge funktionieren nicht mehr so, wie sie sollen, Zellen werden nicht mehr ordnungsgemäß versorgt. Auf Dauer riskiere man eine Diabetes-Erkrankung.
Tipps vom Profi: Regelmäßig aufstehen, bewegen, Treppen steigen. Wer beim Telefonieren im Büro herumgeht, steigert zugleich seine Konzentration. Wie wär es in der Pause mit einem Spaziergang an der frischen Luft? Dr. Mommert-Jauch spricht auch von einem erhöhten Krebsrisiko bei Dauer-Sitzern. Der Zusammenhang klingt interessant und erschreckend zugleich: „Durch die langandauernde Inaktivität reichern sich nicht nur Fette im Blut sondern auch im Muskel, in der Leber und im Darm an.“ Der Darm, so die Expertin, werde beim Sitzen nicht „massiert“. Der Darminhalt verbleibe länger im Körper, was das Risiko für entzündliche und krebslauslösende Prozesse erhöhe.
Schließlich – dieses Thema hatten wir bereits in unserem Newsletter 09-2015 „Das Gehirn (2): Vernetzte Steuerstelle Faszien“ – kann langes und vor allem auch falsches Sitzen zu psychischen Problemen führen.
Wieviel Bewegung brauchen wir? Diese Frage beantwortete Prof. Dr. med. Aloys Berg von der Universitätsklinik Freiburg im Rahmen eines Interviews für die Deutsche Herzstiftung: „Die Bewegung muss so intensiv sein, dass sie für den Stoffwechsel und das Herz-Kreislauf-System einen Reiz darstellt. Schaufensterbummeln oder in der frischen Luft herumschlendern genügt nicht. Aber es muss nicht immer die mit Sport verbundene intensive körperliche Leistung sein.“
Die notwendige Reaktion des Herz-Kreislauf-Systems erreiche man durchaus mit einem Puls von 100 oder leicht darüber. Es komme darauf an, so der Wissenschaftler, sich flott zu bewegen. Beim schnellen Gehen steigt die Herzfrequenz auf einen Puls von etwa 100 an. Das Tempo liegt dann etwa bei 6 km pro Stunde. Bei diesem Tempo verbraucht man in einer halben Stunde rund 250 Kilokalorien.
Text: Rainer Wittmann