Bei dem Geldbeutelsyndrom geht es nicht um monetäre Probleme. Es wird lediglich so genannt, weil dort, wo man legerer Weise seine Geldbörse in die Hose steckt, durch den Druck auf die Gefäßmuskulatur und das umliegende Gewebe Schmerzen entstehen können. Der Grund: In diesem Bereich verläuft der „Musculus piriformis“. Er zieht auf beiden Seiten vom unteren Ende der Wirbelsäule zum Oberschenkel. Da der Muskel bei fast allen Bewegungen der Beine beteiligt ist, können dauerhaft Schmerzen auftreten.
Im Gesäßbereich selbst kann es ein dumpfer oder stechender Schmerz sein, der sich auf das Gesäß und den unteren Rückenbereich ausbreitet. Der zusätzliche Druck auf den Ischiasnerv (der liegt unterhalb des Piriformis) kann diesen einengen und zu Taubheitsgefühl oder Kribbeln in den unteren Extremitäten führen. Durch möglicherweise in der Folge sich entwickelnde muskuläre Ungleichheiten (Dysbalancen) können Verspannungen entstehen, die sich auf den gesamten Bewegungsapparat auswirken.
Statistiken zeigen, dass bei etwa acht Prozent aller Schmerzsyndrome im unteren Rücken das Geldbeutelsyndrom beteiligt ist. Überlastung ist die häufigste Ursache. Und unter den Top 3 der Ursachen ist die Überlastung des Piriformismuskels durch einseitiges Sitzen auf dem in der Gesäßtasche steckenden Geldbeutels. So viel nochmal zu der Entstehung des im Grunde lustigen Namens.
Stellt der Orthopäde das Syndrom fest, sind gezielte Physiotherapie mit Dehnung, Querfriktion und Anwendung der Faszienrolle erforderlich. Triggerpunkt-Akupunktur, Massagen und Physiotherapie können ebenso notwendig werden – je nach Schweregrad. Ziel ist auf jeden Fall, den Piriformismuskel zu entspannen und die Blockaden und die ggf. bereits eingetretenen Dysbalancen zu korrigieren.
Aus der Praxis: Interessante Fälle des Geldbeutelsyndroms
Piriformis-Fall 1
Ein 74 Jahre alter, schlanker Mann in gutem Allgemeinzustand klagt seit einem Jahr über zunehmende tiefsitzende Kreuzschmerzen, die in das rechte Bein ausstrahlen, Verstärkung beim längeren Gehen, weshalb er die tägliche Gehstrecke von 10 auf maximal 4 km reduzieren musste. Zum Zeitpunkt der Vorstellung in der Praxis bestanden ständige „Ischiasschmerzen“ links, beim längeren Gehen verstärkt. Zitat: „Dann fange ich zu Humpeln an.“
Die klinische Untersuchung ergab eine eingeschränkte Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule bei der Seitneigung und Drehung nach links, das Lasègue-Zeichen war bei 60 Grad positiv. Es zeigte sich eine Schmerzstraße L5 links (Beinaußenseite) und S1 links (Beinrückseite) mit Missempfindungen an der Unterschenkelaußenseite. Die Hüftgelenke waren altersentsprechend gut beweglich.
Röntgenaufnahmen zeigten neben einer erheblichen Skoliose fast völlig aufgebrachte Bandscheibenzwischenwirbelräume zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbel und zwischen dem 5. Lendenwirbel und dem Kreuzbein sowie eine erhebliche Arthrose der Wirbelbogengelenke der gesamten unteren Lendenwirbelsäule. Wegen der Beschwerden und anhaltender Nervenwurzelreizsymptomatik wurde eine Magnetresonanztomographie der Lendenwirbelsäule veranlasst. Sie zeigte einen Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 und L5/S1, d.h. in den zwei untersten Bandscheiben der Lendenwirbelsäule.
Trotz intensiver multimodaler orthopädischer Behandlung mit sogenannten Fellinger-Infusionen, Infiltrationen der Nervenwurzeln, Mobilisierung der Wirbelgelenke, physikalischen Anwendungen, Physiotherapie und schließlich Muskelkräftigungstherapie konnte keine durchgreifende Besserung erzielt werden. Es bestanden weiterhin „Ischiasschmerzen“ links.
Bei mehrmaligen Kontrollen des Befundes zeigte sich schließlich, nachdem die Nerven- und Muskelreizerscheinungen im Ruhezustand abgeklungen waren, eine anhaltende Verhärtung im Bereich der linken Gesäßmuskulatur. Differenzierte klinische Untersuchungen ergaben schließlich einen sehr kräftigen Musculus piriformis.
Der Nervus ischiadicus läuft direkt unter dem kleinen Becken in das Bein direkt durch den Musculus piriformis. Bei den weiteren Terminen fiel schließlich auf, dass der Patient eine relativ dicke Geldbörse immer in der linken Gesäßtasche trug, wodurch beim Sitzen ein erheblicher Druck auf den Musculus piriformis und dadurch auf den Nervus ischiadicus ausgeführt wurde. Durch den beständigen Druck kam es zu einer deutlichen Verdickung dieses Muskels, der dann bei längerem Gehen die beklagten Beschwerden auslöste.
Intensive Physiotherapie, Dehnung, Querfriktion, Faszienbehandlung des M. piriformis sollten zu einer nachhaltigen Heilung führen. Das Wort „piriformis“ heißt übrigens „birnenförmig“.
Piriformis-Fall 2
Ich erinnere mich an einen ähnlichen Fall vor gut 20 Jahren. Ein Zahnarzt, Mitte 50, klagte über erhebliche Ischiasbeschwerden, das heißt Schmerzausstrahlungen ins rechte Bein, wobei trotz intensiver Diagnostik einschließlich Kernspintomographie keine direkte Ursache, und auch im MRT kein Bandscheibenvorfall etc. nachgewiesen werden konnte.
Damals war in der tiefe des rechten Gesäßmuskels eine harte Resistenz (Verdickung) tastbar, es konnte mittels CT und MRT ein Weichteiltumor nicht ausgeschlossen werden, weshalb der Patient ins Krankenhaus überweisen wurde. Nach der Operation berichtete mir der zuständige Chefarzt: „Nachdem wir die Gluteus maximus, medius und minimus zur Seite präpariert hatten und tiefe Faszie gespalten hatten quoll uns der Piriformis entgegen“, die Faszie wurde zugenäht, die Wunde geschlossen.
Durch konsequente Physiotherapie wurden die Beschwerden erheblich verringert. Ursache war das bei Zahnärzten übliche, leicht verdrehte Sitzen auf dem Behandlungshocker, was zu einseitiger Überbelastung, Kräftigung und Verdickung des M. piriformis geführt hatte. Deswegen werden mittlerweile sattelförmige Stehhocker angeboten und empfohlen.